10 November 2007

Hartz IV am Strand

Zum Jahrestag der Maueroeffnung: Cindy, Oma, Mama und Jenny am Strand
Heute werden wir am Strand von Puerto Cruz unversehens mit der deutschen Wirklichkeit konfrontiert. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat diese Woche mit dem Thema „Geboren am 9. November 1989“ aufgemacht und eine Reihe von heute 18-Jährigen vorgestellt. Wir treffen neben einem solchen Kind auch noch dessen Mutter, Großmutter und Schwester. Aber das macht die Sache nicht besser – im Gegenteil!
Bei der etwa 18-Jährigen handelt es sich – na klar, die geneigten Leser/innen werden unschwer selbst auf den Namen kommen – um Cindy. Ihre etwa fünfjährige Schwester heißt Jenny oder Gini – ausgesprochen wird es aber meist wie "Dschänäh". Daneben gibt es noch "Mama" und "Oma".
Die Altersstruktur der Vier ist typisch für viele Hartz IV-Dynastien: Die mutmaßlich von verschiedenen Erzeugern stammenden Kinder Cindy und – nennen wir sie der Einfachheit halber – Jenny sind, wie gesagt, etwa fünf und 18 Jahre; Mama: etwa 40, Oma: etwa 60 Jahre.
Schon beim Betreten des Strandes – so viel Sozialkritik muss an dieser Stelle erlaubt sein – werden diese Mitglieder des Präkariats mit besonderen Härten konfrontiert: Jenny jammert, weil der Sand schwarz und nicht weiß ist, Oma hat keine Badekleidung dabei und präsentiert sich deshalb in Unterhose und halb gelüpftem BH und der Sozialstaat versagt komplett, weil er keine unentgeltlichen Sonnenschirme für Unterprivilegierte bereit stellt. Die verlangten 1,50 Euro Miete für den ganzen Tag sind unzumutbar – schließlich ist der Urlaub auf Teneriffa schon sonst teuer genug.
Prekär: Oma hat keinen Badeanzug!
Als erste Maßnahme wird der kleinen Jenny, für die das Sozialamt im November offenbar keine Sonnenmütze bezahlen wollte, eine Unterhose von "Oma" – Allzweckwaffe des Quartetts – auf den Kopf gestülpt. Da die Kleine damit nicht zufrieden ist, sinnt "Mama" auf Abhilfe – und findet bald ein probates Mittel: Der Stuhl des Wasserretters ist gerade nicht besetzt, und so klaut sie kurzerhand dessen Sonnenschirm. Auch das Problem "Wie kommt der Schatten auf das Handtuch?" wird mittels einiger komplexer Bewegungen sowohl des Handtuchs als auch des Schirmes souverän gelöst.
Dass der Retter, der kurze Zeit später von einer Patrouille wieder kommt, sich den Schirm kommentarlos zurückholt, ficht "Mama" nicht an. Kaum ist der Badewächter wieder einmal weg, holt sie sich den Schirm zurück.
Pfiffig: Gummihandschuh passt auch an den Fuss!
Unterdessen ereilt "Cindy" unten in der Brandung ein schlimmes Schicksal: Obwohl sie sich nie ganz ins Wasser traut, schneidet sie sich an irgend etwas den Zeh auf. Doch auf "Mama" ist in dieser Situation Verlass: Sie kramt aus ihrer Tasche ein Erste-Hilfe-Set hervor. Bei der Auswahl der Medikation lässt sie allerdings einen gewissen Eigenwillen erkennen: Statt eines Pflasters wird ein Gummihandschuh hervorgekramt, der fortan über Cindy´s Fuß gezogen wird.
Auch "Oma" hat gesundheitliche Probleme: Die übergewichtige alte Dame hat den ganzen Tag ohne zu trinken in der prallen Sonne gelegen und kommt nun nicht mehr hoch. "Mama" hilft nach, doch „Oma“ lässt sich gleich darauf wieder aufs Handtuch plumsen. "Was nu? Ich denk, du willst hoch? Dann leg dich doch nich wieder hin!", keift "Mama". Auch Jenny holt sich eine Abfuhr, als sie nach mehr als vier Stunden sagt, sie hätte Hunger: "Ich hab dir doch beim Frühstück gesagt, du sollst mehr essen", wird die Fünfjährige zurecht gewiesen.
Aber ich habe nach dem Kennenlernen von Jenny, Cindy, "Mama" und "Oma" endlich kapiert, warum es Hartz IV heißt.

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